Expo Real 2021: Die Herausforderung als Chance begreifen

Bis 2050 soll der CO2-Ausstoß hierzulande gegenüber dem Referenzjahr 1990 um bis zu 95 Prozent reduziert werden. Dazu soll in den nächsten 25 Jahren der Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral umgebaut werden. Eine Herkulesaufgabe, der sich die Immobilienbranche stellen muss. Ein Wegducken wie bislang, ist in Zukunft nicht mehr möglich. „Wenn wir ehrlich sind, haben viele Unternehmen das Thema – auch wenn wir es schon seit Jahren diskutieren – nur halbherzig angegangen“, fand Dr. Jochen Keysberg FRICS, CEO von Apleona, deutliche Worte. Im Rahmen der imForum-Diskussionsrunde von immobilienmanager auf der Expo Real diskutierte er mit Daniela Albrecht (Leoni), Professor Dr. Kerstin Hennig (REMI) und Jochen Schenk (Real IS) über Maßnahmen und Herausforderungen des Klimaschutzes im Gebäudebestand. Ein besonderes Dorn im Auge sind ihm die weit verbreiteten Pilotprojekte. „Da wird erstmal ein halbes Jahr ein Pilot gefahren und anschließend noch einmal so lange ausgewertet. Das muss vorbei sein.“ Es gibt seiner Meinung nach genug erprobte und wenig kapitalintensive Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden können. Schon damit ließen sich 20 bis 30 Prozent der notwendigen CO2-Einsparungen erzielen. „Es gibt keinen Grund mehr zu experimentieren“, so Keysberg. Piloten seien auch immer ein Stück weit eine Ausrede erst einmal nichts zu tun.

Auch für Daniela Albrecht hat das Abarbeiten der ‚low hanging fruits‘ oberste Priorität. Sie leitet das Corporate Real Estate Management der Leoni AG, einem Kabelspeziallisten, der unter anderem als Automobilzulieferer tätig ist. „Aber wir dürfen uns nichts vor machen: Irgendwann müssen wir in größerem Maße investieren – und in einem wettbewerbsintensiven Geschäft wie unserem, in dem jeder Penny zählt, wird das eine Blutgrätsche“, warf sie den Blick weiter voraus.

Dieses ‚Irgendwann‘ tritt ein, wenn die reinen Betriebsoptimierungen, die ohne großen Kapitaleinsatz möglich sind, ausgereizt sind. Allerdings liegt hier noch viel Potenzial im Gebäudebestand brach. Die damit erkaufte Zeit könnten die Immobilienunternehmen wiederum nutzen, um umfassende ESG-Strategien zu erarbeiten und die kapitalintensiven Maßnahmen vorzubereiten.

Doch auch die vermeintlichen schnellen Erfolge sind im Bestand gar nicht so einfach zu erzielen. Etwa wenn noch nicht einmal digital erfasst ist, welche Heizungssysteme oder welche Dämmung überhaupt vorhanden ist. Diese Angaben bei Bestandsgebäuden zu generieren und zu digitalisieren, die in ihrer Geschichte mehrfach den Eigentümer gewechselt haben, ist bereits eine immense Herausforderung.

Und für Professor Kerstin Hennig werden die Herausforderungen auch langfristig nicht kleiner. „Es nützt nichts, nur einen Sustainability-Beauftragten einzusetzen oder eine ESG-Abteilung zu installieren. Das Thema muss als umfassende Strategie wie ein Netz über das ganze Unternehmen gelegt werden und das erfordert eine Veränderung im Denken.“ Jochen Schenk, Vorstand des Asset Managers Real IS, stimmte ihr zu. „Das ist ein Mindshift, der parallel zu anderen Change-Prozessen wie Digitalisierung und gesellschaftlichem Wandel verläuft. Die Strategie-Implementierung muss auf allen Ebenen im Unternehmen stattfinden und jeder Mitarbeiter muss mitgenommen werden.“ Das eigene Portfolio werde Real IS in Gebäude-Typen einordnen, weil eine komplett individuelle Betrachtung auf Einzelobjekt-Ebene nicht möglich sei. Nach der Identifizierung der Gebäude mit dem dringendsten Handlungsbedarf werde ein Klimaschutzfahrplan mit konkreten Maßnahmen erarbeitet, der Reihenfolge und Zeitpunkt der erforderlichen Maßnahmen definiert.

Neben diesen strategischen Baustellen bei den Unternehmen mangelt es in der Branche ganz handfest noch immer an einer einheitlichen Definition zur Analyse und Messung von Nachhaltigkeitskriterien. „Es fehlt das Benchmarking“, so Professor Dr. Kerstin Hennig. „Es gibt etliche Ansätze, aber nicht das eine Klassifizierungssystem, das jedes Unternehmen als Grundlage nehmen kann.“ Hier setzen vielen Branchenakteure große Hoffnungen in die Ecore-Initiative und darauf, dass sie in den nächsten Monaten eine Normierung für ESG-Daten und ihre Nutzung hervorbringt. Dringend notwendig wäre das für die langfristigen strategischen und kapitalintensiven Maßnahmen“, mahnte Dr. Jochen Keysberg.

Dass die Datentransparenz und Vergleichbarkeit auch an anderer Stelle unverzichtbar ist, machte Professor Dr. Kerstin Hennig klar. Sie brachte die Banken ins Spiel, die bei Finanzierungen von Bestandsgebäuden oder Portfolien beurteilen müssen, wie teuer etwaige ESG-konforme Ertüchtigungen der betreffenden Immobilien ausfallen werden. Auf dieser Grundlage müssen dann Entscheidungen über Finanzierungskonditionen getroffen werden. Ohne klare Bewertungsgrundlagen ist das aktuell ein schwieriges Unterfangen.

Einig waren sich die vier Experten, dass sie kaum ein Thema erlebt haben, dass so rasend schnell an Relevanz für die Branche gewonnen hat wie ESG und Klimaschutz im Gebäudesektor. Neben der Regulatorik und dem Wettbewerb untereinander sei auch die Erwartung der Kunden ein wesentlicher Treiber. Eine Erfahrung die der Industriekonzern Leoni immer häufiger macht. „Wir werden selbst stark getrieben von Anfragen unserer Kunden“, erklärte Daniela Albrecht. „Sie möchten von uns wissen, in welchen Ländern wir komplett klimaneutral produzieren können. Das betrifft dann auch Best-Cost-Countries, in denen wir zum Beispiel gar keine grüne Energie einkaufen können.“ Wie geht man damit um? Unter Umständen sei man gezwungen selbst PV-Anlagen zu installieren, obwohl der Standort dafür nur bedingt geeignet sei. Der Druck auf Industrie- und Produktionsunternehmen baut sich gerade erst auf und wird nach Einschätzung von Dr. Jochen Keysberg weiter zunehmen.

Wie vielschichtig und verwoben die komplette Thematik ist, machte Jochen Schenk mit Blick auf den Wohnungssektor deutlich, auf dem er einen immensen Zielkonflikt sieht: „Wohnen soll bezahlbar bleiben und Gebäude sollen grüner werden. Das ist nur sehr schwer zu vereinen.“ Deshalb sieht er die Politik und die Administration gefordert, mit einer intelligenten Kombination aus dem Vorgeben von Standards und Förderung, sinnvolle Maßnahmen möglich zu machen. „Ich habe große Hoffnung, dass die neue Regierung eine andere Art von Kooperation an den Tag legen wird und all jene gehört werden, die am Ende die Maßnahmen in der Praxis umsetzen, bezahlen und finanzieren müssen“, zeigte sich Dr. Jochen Keysberg vorsichtig optimistisch.  

Der Apleona-CEO war es denn auch, der zum Abschluss der Runde eine Hoffnung äußerte: „Wenn wir das gut machen, wird aus der riesigen Herausforderung für die Menschen und für die deutsche Wirtschaft eine große Chance.“